Interview mit Philipp Wallner, MathWorks

Interview mit Philipp Wallner, MathWorks

„Das Engineering stellt man nicht nebenbei um“

Simulations-Tools kommen in Maschinenbau und Automatisierung immer häufiger zum Einsatz. Im europäischen Markt hat sich die Lösung Matlab und Simulink etabliert, in der Automobilindustrie sowie Luft- und Raumfahrt gelten sie als Quasi-Standard. Welche Trends bewegen das modellbasierte Engineering und was erwartet man hier im Zuge von Industrie 4.0? Das SPS-MAGAZIN hat nachgefragt bei Philipp Wallner, verantwortlich für das Marktsegment Automatisierung & Maschinenbau beim Anbieter der eingangs genannten Software, MathWorks.
Herr Wallner, was gibt es Neues bei Matlab und Simulink im Maschinenbau?

Philipp Wallner: Die Industrieautomation und der Maschinenbau sind wichtige Wachstumsbranchen für uns. Im Moment wird das Zusammenwachsen der einzelnen Automatisierungsdisziplinen, also Sensing, Computing, Communication und Control, stark getrieben. Vor allem weil die Rechenleistung in der Automatisierung und Industrietechnik immer größer wird – sowohl, was die Steuerungen direkt betrifft, aber auch was smarte Komponenten angeht. Für diesen Wandel ist unser Produktportfolio gut geeignet, und diese Marktsegmente setzen unsere Produkte mehr und mehr für die Entwicklung ein.

Tickt der Maschinenbau nicht ganz anders als andere Branchen, in denen Matlab und Simulink im Einsatz sind, wie etwa der Automotive- oder der Aerospace-Bereich?

Wallner: Der Automatisierungsmarkt hat definitiv eigene Anforderungen. Deshalb ist es meine Hauptaufgabe, die Schnittstelle zwischen der Industrie auf der einen und unserem Produktmanagement und unseren Entwicklern auf der anderen Seite zu bilden. Wir wollen natürlich ganz genau wissen: Was braucht der Maschinenbauer? Was braucht der Anlagenbauer? Was braucht der Automatisierer? So haben wir bereits viel Erfahrung gesammelt und suchen konkret mit Kunden und Anwendern Kontakt. Der Maschinen- und Anlagenbau hat aber nicht nur eine andere Denke, sondern durch die Langlebigkeit seiner Produkte auch seine eigene Geschwindigkeit. Im Automobilbau, wo zehn OEMs den weltweiten Markt dominieren, herrscht eine andere Dynamik, als im mittelständisch geprägten Maschinenbau. Dieser ist mit 6.500 Unternehmen in Deutschland ein sehr gesunder Industriezweig und übersteht selbst schwierige Zeiten ohne große Probleme. So ist dieser Markt für uns eine spannende Herausforderung.

Wo liegt der konkrete Nutzen Ihrer Tools für den Anwender in der Automatisierung?

Wallner: Der Maschinenbau befindet sich in einer Entwicklung, die Automobil- und Luftfahrtindustrie bereits in den vergangenen Jahren durchschritten haben: Die Software wird immer komplexer. Früher waren Mechanik und Elektronik einer Maschine meist fast fertig, wenn man das SPS-Programm geschrieben hat – und dieses hatte dann vielleicht ein paar hundert Zeilen Code. Heute ist es umgekehrt: Die Software nimmt den Hauptanteil der Maschine ein – sowohl in Bezug auf die Funktionalität als auch auf den Entwicklungsaufwand. Dabei steigt die Komplexität ungemein und umso intensiver muss man die Software testen.

Wie erreichen Sie denn in diesem Wandel den Maschinenbauer, der die Entwicklung bislang ganz anders angegangen ist?

Wallner: Wir arbeiten in erster Linie mit Innovationsführern des Maschinenbaus und präsentieren entsprechende Ergebnisse und Vorteile auf Veranstaltungen wie der Matlab Expo. Weiterhin generieren wir Anwenderberichte und Success Stories zusammen mit Vorreitern in den jeweiligen Bereichen. Auf diese Weise wollen wir das Potenzial messbar und nachvollziehbar machen. Das ist sehr wichtig. Denn im ersten Schritt bedeutet die modellbasierte Entwicklung einen relativ großen Initialaufwand für den Maschinenbauer. Das Engineering stellt man nicht einfach nebenbei um. Man muss sein Maschinen Know-How in ein Modell überführen und hat dann aber die Möglichkeit, Steuerungs-Software vorab und viel umfassender als bisher zu testen.

Also muss man Überzeugungsarbeit leisten. Bei welchen Unternehmen sind Sie denn damit erfolgreicher? Sind es eher die großen Serienmaschinenbauer oder die kleinen Mittelständler?

Wallner: Ob es die Kleinen oder die Großen sind, lässt sich nicht so einfach sagen. In jedem Fall sind es sehr innovative Anbieter. Das kann ein Fünf-Mann-Unternehmen sein oder ein international agierender Serienmaschinenhersteller. Es sind diejenigen Firmen, die sich auf die Fahne schreiben, Technologieführer ihrer Branche zu sein. Dort ist das Bewusstsein für den steigenden Stellenwert der Software schon da.

Welche Ziele haben Sie, was die weitere Verbreitung des modellbasierten Ansatzes angeht?

Wallner: Wir planen natürlich in unterschiedlichen Zeitspannen. Langfristig verfolgen wie das Ziel, dass sich modellbasierte Entwicklung und Simulation als Standard im Engineering durchsetzen – idealerweise natürlich mit unseren Tools. Das ist ein durchaus realistisches Ziel. Heute hinterfragt ja in der mechanischen Entwicklung auch keiner mehr, wie sinnvoll der Einsatz von CAD-Tools ist. Sie sind längst Standard. So wird es sich auch bei der Software ergeben: Zuerst wird modelliert und simuliert, erst dann der Code auf die Steuerungs-Hardware übertragen.

Müssen sich in diesem Zug die Software-Ingenieure mehr hin zu Informatikern entwickeln?

Wallner: Nein, gerade mit Model-Based Design sinkt die Einstiegshürde für Ingenieure. Statt Code händisch zu schreiben, bauen sie ein Modell in Simulink aus Funktionsblöcken auf – im Prinzip eine Art Schaltbild. Mit dieser Methode können auch Ingenieure ohne Informatikkenntnisse ein System entwickeln.

Die modellbasierte Entwicklung ist also die nächste Stufe des Engineerings, die quasi auf den mechatronischen Ansatz folgt?

Wallner: Genau. Die modellbasierte Entwicklung ist der geeignete Ansatz, um der wachsenden und komplexer werdenden mechatronischen Entwicklung gerecht zu werden. Im Zentrum steht das Modell der Maschine oder der Anlage. Das bringt nicht nur die genannten Vorteile auf Software-Seite. Auch bei der Hardware wird dadurch frühzeitig Verbesserungspotenzial deutlich.

Tritt dieser Fall häufig ein? Früher war es ja in der Regel umgekehrt und man hat die Software der Mechanik angepasst.

Wallner: Es passiert noch viel zu selten, wird aber mit der Verbreitung der modellbasierten Entwicklung zunehmen. Schon jetzt sehen wir von der Wichtigkeit und der Wertschöpfung her die Software im mechatronischen Modell an erster Stelle. In der Praxis ist es aber leider noch oft so, dass die Mechaniker die Maschine bauen, anschließend wird sie verkabelt und zum Schluss müssen die Software-Ingenieure dafür sorgen, dass die Maschine alle Spezifikationen und Anforderungen erfüllt.

Das heißt, die Unternehmen sind strukturell noch gar nicht auf ein fortschrittliches Entwicklungsmodell eingestellt?

Wallner: Alle sicher nicht. Aber die Innovationsführer haben ihre Strukturen bereits aufgebrochen und arbeiten interdisziplinär zusammen. Bei vielen Maschinen- und Anlagenbauern in Europa ist das allerdings nicht der Fall und die Mechaniker haben das alleinige Sagen. Diese Anbieter werden sich in Zukunft nicht leicht tun, global zu bestehen.

Weil sie die Rolle der Software nicht richtig einschätzen?

Wallner: Ja. Man kann sich heute einfach nicht mehr so gut über die Mechanik oder Elektrik vom Wettbewerb unterscheiden. Wo man sich wirklich absetzen kann, das sind die Schlagworte von Industrie 4.0: smarte Software-Funktionen, Datenmanagement oder Predictive Maintenance. Diese Features gehen allesamt darauf zurück, dass man Daten aufzeichnet, möglichst in Echtzeit auswertet und die Analysen dazu verwendet, die Produktionsabläufe zu optimieren. Das wird nur durch Software möglich und dagegen darf man sich nicht sperren.

Sie sehen die Software also als Chance für den europäischen Maschinenbau?

Wallner: Absolut. Betrachtet man die jüngst veröffentlichten Richtlinien zu Industrie 4.0, dann kann man über 80% davon direkt auf Software-Entwicklungen übertragen. Hier liegen große Mehrwerte für den Endkunden und dieser ist auch bereit, dafür zu zahlen. Entsprechend sehe ich an dieser Stelle eine gute Möglichkeit für den Maschinenbau im deutschsprachigen Bereich, um sich gegenüber der globalen Konkurrenz abzusetzen.

Nachdem Deutschland nicht gerade den Ruf eines Informatikerlands hat, sind objektorientierte und modellbasierte Engineering-Konzepte ja eine entsprechende Voraussetzung für den Erfolg.

Wallner: Zurzeit kommt bei uns eine junge Ingenieursgeneration auf den Markt, die sehr stark im Bereich Algorithmenentwicklung, regelungstechnische Entwicklung oder Filterdesign ist. Die wollen sich auf diese Kernkompetenz konzentrieren und sich nicht damit auseinandersetzen, wie man das in herkömmlichen SPS-Sprachen auf eine Steuerung übertragen kann.

Mit Ihren Tools soll das dann auf Knopfdruck geschehen?

Wallner: Genau. Mit dieser Abstraktionsschicht bei der Code-Generierung kann man einen Algorithmus in Matlab oder Simulink implementieren, testen, und dann in der benötigten Sprache für die jeweilige Steuerung, z.B. C, C++ oder IEC61131, automatisch generieren. Die hardwareunabhängige Entwicklung wird in der Industrieautomatisierung immer mehr geschätzt.

Welche Gründe sprechen bei diesem Wandel für Matlab und Simulink? Bei welchen Entwicklungen kann die Lösung ihre Stärken ausspielen?

Wallner: Ein Alleinstellungsmerkmal ist die Durchgängigkeit. Von der Verlinkung der Spezifikationen und Anforderungen auf das Modell, über die Parametrierung und Simulation hin zu Code-Generierung und Verifikation. Der gesamte Workflow lässt sich auch automatisieren. Von den vielen weiteren Gründen, die für unsere Software sprechen, möchte ich zwei hervorheben. Das eine ist die Regelungstechnik. Ich selbst bin Regelungstechniker und habe schon vor meiner Zeit bei MathWorks immer wieder mit Simulink gearbeitet. Das ist sicherlich der Bereich, in dem unsere Tools im Maschinenbau heute am stärksten eingesetzt werden. Ablaufsteuerungen sind das andere und hier werden unsere Werkzeuge immer häufiger eingesetzt. Als ich in meiner beruflichen Anfangszeit selbst SPSen programmiert und in Betrieb genommen habe, da waren die Statemachines noch relativ einfach und die Anwendungen mit vielleicht 20 oder 30 States überschaubar. Da hat man halt mit Papier und Bleistift vorher überlegt, wie die miteinander verschachtelt sind. Heute sind die Aufgaben viel komplexer. Es ist kaum mehr möglich zu verstehen, wie alle Faktoren zusammenhängen. Deshalb muss man die Anwendung ausgiebig und durchgängig testen. Unsere Tools dokumentieren, welche Testfälle erfolgreich durchgelaufen sind und welche man sich nochmal anschauen muss. Mit Matlab kann man die Testfälle automatisiert auf Knopfdruck nochmal durchlaufen lassen. In diesem Punkt können wir eine deutliche Verkürzung der Entwicklungszeit und damit einen großen Mehrwert liefern.

Es handelt sich ja nicht nur um ein komplexes Tool, es ist ja eigentlich eine Methode. Macht sich der Kunde mit deren Einsatz nicht sehr abhängig?

Wallner: Ich würde es eher umgekehrt formulieren. Will der Kunde erfolgreich sein, kommt er nicht darum herum, komplexe Software zu entwickeln. Unser Tool bietet eine Möglichkeit, die Komplexität zu reduzieren und einfacher handelbar zu machen. Simulink ist zudem ein sehr offenes System, das eine Vielzahl von Schnittstellen zu anderen Tools umfasst. Benötigt der Kunde eine spezielle Funktion, zum Beispiel aus der Robotik oder der Bildverarbeitung, dann lässt sich diese einfach in das System integrieren. Man kann also vieles in unseren Tools lösen, aber man muss es nicht zwangsweise. Durch die große Anzahl an Partnern, mit deren Software-Produkten unsere Tools zusammenarbeiten, kann der Anwender die für ihn bestmögliche Kombination verwenden.

Matlab und Simulink haben hierzulande einen guten Stand. Inwieweit ist das Fluch oder Segen? Welchen Erwartungshaltungen müssen Sie begegnen?

Wallner: Es ist definitiv ein gewisser Auftrag für uns. Dass man, wenn man von Simulation spricht, sehr oft Matlab und Simulink im Hinterkopf hat, finden wir natürlich gut. Dazu trägt aber Verschiedenes bei. Unter anderem auch, dass wir im Bereich Education einen starken Stand haben. Quasi jeder, der in Europa, Amerika oder Asien von einer technischen Hochschule kommt, hat irgendwann einmal etwas mit Matlab und Simulink zu tun gehabt. Das ist durchaus ein Segen und wir nehmen das auch sehr ernst. (mby)


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