Mehr als ein Störschreiber

Messsystem überwacht eine der größten HGÜ-Anlagen Europas

Mehr als ein Störschreiber

Seit einem Jahr läuft zwischen Spanien und Frankreich eine der leistungsstärksten Anlagen zur Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) Europas. Die Siemens-Anlage, die Wechselstrom für den Transport in Gleichstrom umwandelt, ermöglicht es, elektrische Leistung bis zu 2×1.000MW zwischen beiden Ländern auszutauschen. Sie hat damit Modellcharakter für den gemeinsamen europäischen Energiemarkt. Um die Stromübertragung kontinuierlich überwachen zu können, setzt Siemens auf ein modular konzipiertes Messsystem. Mit bis zu 20.000 Messungen pro Sekunde ermöglicht das System auch sehr kurzzeitige Effekte aufzuzeichnen und zu analysieren.

Ein 8,5km langer Tunnel musste für die Kabelverlegung durch die Pyrenäen gebohrt werden. (Bild: iba AG)
Ein 8,5km langer Tunnel musste für die Kabelverlegung durch die Pyrenäen gebohrt werden. (Bild: iba AG)

Im Auftrag der Stromversorger Réseau de Transport d’Electricité (RTE) aus Frankreich und Red Eléctrica de Espana (REE) aus Spanien hat Siemens von 2010 bis 2015 für 700Mio.? zwei Umrichterstationen in Baixas in der Region Roussillion (Frankreich) und Santa Llogaia im Bezirk Alt Empordà (Spanien) errichtet. Für den Bau der Anlage wurde die Projektgesellschaft Inelfe (Interconnexion Electrique France Espagne) gegründet. Die beiden Stationen wandeln Drehstrom eines Netzes mit Stromrichtern in Gleichstrom um und übertragen ihn über ein 65km langes 320kV-Gleichstromkabel unter der Erde. An der Empfänger-Umrichterstation wandeln die Stromrichter den Gleichstrom wieder in Wechselstrom um. Dabei passen sie ihn vor der Einspeisung an die Parameter des heimischen Netzes an, etwa an Frequenz und Phasenwinkel. So lassen sich beide Netze problemlos miteinander verbinden. Die Kapazität für den Leistungsaustausch zwischen Spanien und Frankreich ist durch die HGÜ-Anlage verdoppelt worden. Auf diese Weise können Engpässe auch in den europaweiten Übertragungsnetzen nach und nach beseitigt werden. Für Siemens ist die HGÜ-Anlage auch eine Gelegenheit, die sogenannte HVDC-Plus-Technik mit einer Übertragungsspannung von +/-320kV unter Beweis zu stellen. Sie arbeitet mit Stromrichtern auf Basis selbstgeführter Voltage-Sourced-Converter-Technik (VSC) in platzsparender modularer Multilevel-Converter-Bauweise (MMC). Im Gegensatz zur klassischen, netzgeführten Stromrichtertechnik mit Thyristoren basiert die HVDC-Plus-Technik auf abschaltbaren Leistungstransistoren (IGBT). Der Clou: Die VSC-Stromrichter brauchen keine führende Netzspannung – sie können aufgrund ihrer selbstgetakteten Funktionsweise prinzipbedingt beliebige Verläufe der Ausgangsspannungen erzeugen. Das macht das System Black-Start-fähig. Im Falle eines Stromausfalls können die Umrichter eine Netzseite also schrittweise wie ein Generator eigenständig aufbauen, ohne auf ein vorhandenes Netz angewiesen zu sein. Darüber hinaus bieten die Stromrichter schnelle regelungs- und schutztechnische Eingriffsmöglichkeiten, welche die Stromübertragung stabiler machen.
HVDC Plus IGBT Umrichtermodule für 1.000MW (Bild: iba AG)
HVDC Plus IGBT Umrichtermodule für 1.000MW (Bild: iba AG)

Überwachung der HGÜ

Um die Stromübertragung einer HGÜ-Anlage fortwährend überwachen zu können, setzt Siemens bei allen ihrer HGÜ-Anlagen auf das modular und skalierbar konzipierte Messsystem der iba AG. Dieses wird in der Anlage sowohl als digitaler Störschreiber (Transient Fault Recorder), als auch zur Überwachung der Steuerungen der elektrischen Nebenanlagen in den Konverterstationen sowie zur Überwachung und Visualisierung der Größen aus der Energie Qualität eingesetzt. Ähnlich wie ein Flugschreiber zeichnet das System Werte aus dem Leit- und Regelsystem Pluscontrol und Simatic TDC sowie die Signale der Strom- und Spannungswandler auf. Inzwischen kann das Messsystem auch umfangreiche Auswertungen zur Energiequalität wie harmonische und interharmonische Oberschwingungen, Flicker, Crestfaktor, Klirrfaktor und anderes zur Verfügung stellen. Das Messsystem kommt mit Störfällen zurecht, welche die Nennwerte der Ströme um ein Vielfaches überschreiten, und kann 1A im Nennbetrieb und 100A im Überlastbetrieb mit einer Auflösung von jeweils 16bit erfassen. Bei Eintritt einer Fehlerbedingung werden die Daten triggergesteuert mit voller zeitlicher Auflösung aufgezeichnet. Auf diese Weise lassen sich Netzstörungen und andere Ereignisse präzise analysieren. Eine Langzeitaufzeichnung und kundenspezifisches oder genormtes Reporting wird wahlweise ebenfalls eingesetzt. Da das System gleichzeitig digitale Werte aus der Leittechnik erfasst, eignet es sich auch zur Überwachung der Steuerungen der Stromrichter und Konverterstationen. „Das ist eine elementare Aufgabe, da sich die HGÜ-Anlage kontinuierlich den wechselnden Bedingungen der Stromnetze beider Länder anpassen muss und auf eine zuverlässige Steuerung angewiesen ist“, erklärt Maria Dimitsanti, Spezialistin für Energieübertragungssysteme bei der iba AG. Die Anlage muss nicht nur ihre Leistung kontinuierlich an den Bedarf anpassen, sondern auch in kurzer Zeit die Energieflussrichtung ändern können.

Transformatoren auf der Wechselspannungsseite (2*350 MVA) (Bild: iba AG)
Transformatoren auf der Wechselspannungsseite (2*350 MVA) (Bild: iba AG)

20.000 Messungen pro Sekunde

Als zentrales Element des Überwachungssystems kommt das Prozessdatenaufzeichnungssystem ibaPDA zum Einsatz, das über Lichtwellenleiter mit Baugruppen zur Analog-Digitalwandlung und Karten zur Erfassung der Werte im Leitsystem verbunden ist. In diesem laufen Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammen, die dank der breiten Konnektivität des Systems uneingeschränkt erfasst werden können. „Das iba-System unterscheidet sich von herkömmlichen Störschreibern durch die direkte Ankopplung zum Siemens-Leitsystem“, ergänzt Maria Dimitsanti. Der Anwender kann Signale gruppieren, die technologisch oder thematisch zusammenpassen, und sogenannte Trigger spezifizieren. Er sagt dem System mit dieser Spezifikation, wann es Messwerte nicht nur im internen Puffer, sondern für die Analyse in Dateien dauerhaft speichern soll. Mit der Analysesoftware ibaAnalyzer lassen sich dann Zusammenhänge erkennen, und Ursachen von Störungen und Qualitätsschwankungen ermitteln. Allerdings sind in HGÜ-Anlagen viele Störfälle nur Bruchteile einer Sekunde kurz. Entsprechend schnell muss das ibaPDA sein. Die Messwerterfassung arbeitet je nach Signalquelle mit 20kHz. Es könnte mit entsprechenden, ebenfalls verfügbaren, Analog-Digital-Umsetzern sogar mit 100kHz arbeiten. So wird es beispielsweise möglich, unerwünschte transiente Vorgänge zu analysieren, die wenige Millisekunden andauern. Der Betreiber kann sich durch eine Alarmfunktion benachrichtigen lassen und sofort Gegenmaßnahmen einleiten. Zudem lassen sich Langzeitstatistiken erstellen, um sich dem optimalen Betrieb der Anlage zu nähern.

Die Netzbetreiber sind gefordert, die Elektroenergiequalität nach der europäischen Norm EN50160 sicherzustellen. Denn die dezentrale Energieerzeugung und das damit verbundene schwankende Angebot an elektrischer Energie aus regenerativen Quellen beeinflussen die Stabilität der Energienetze. Und schlechte Netzqualität kann zum Ausfall empfindlicher elektronischer Geräte und somit zu Millionenschäden führen. Die EU-Norm vereinheitlicht deshalb Merkmale wie Frequenz, Amplitude, Kurvenform und Symmetrie. Auch um die Messung von EEQ-Daten sicherzustellen, lässt sich das System einsetzen. So können Daten aus der Anlage zusammen mit den berechneten EEQ-Kennwerten und gemessenen Rohwerten zentral in dem Prozessdatenaufzeichnungssystem aufgezeichnet werden. Anwender können sämtliche Daten umfassend auswerten, Zusammenhänge erkennen und Ursachen von Störungen oder Qualitätsschwankungen ermitteln. Mittels spezieller Mechanismen werden die netzsynchronen Energiemesswerte mit den zeitsynchronen Prozessgrößen in Einklang gebracht. Die EEQ-Parameter lassen sich so in Zusammenhang mit der Betriebsweise der HGÜ-Anlage bringen.


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