Virtuelle Inbetriebnahme

Simulation unter realen Bedingungen

„Die Anlagen virtuell in Betrieb zu nehmen ist keine ganz neue Idee, aber im ersten Anlauf gescheitert, weil die Offline-Programmierung am PC nie so funktionierte, wie man sich das vorstellte“, sagt Glanz. Grund dafür sei, dass die Wirkweise der Elektronik nie genau simuliert werden konnte. Es waren immer nur Näherungen, wie Stach sagt. „Erst mit der neuen Generation von Software zur virtuellen Inbetriebnahme ist es möglich, die Wirkweise bis auf Ebene eines Feldbusses in Echtzeit zu simulieren. Die Echtzeit spielt hier eine ganz wichtige Rolle. Sie erlaubt es, Hard- und Software unter wirklichkeitsnahen Bedingungen zu simulieren. Dadurch spart man sich im Anlauf locker zwei Monate, weil man ohne die ganzen Testläufe und Anpassungen auskommt.“ In der Praxis sind es heute die Automatisierungstechniker, die mit viel manuellem Aufwand die Anlagen zum Laufen bringen und am Laufen halten. Sie sorgen an den Nahtstellen zwischen Anlage, Steuerung, SPS und IT-Systemen dafür, dass die Anlage genau das macht, was sie machen soll. „Der manuelle Aufwand ist deshalb so groß, weil sie relevante Steuerungsinformationen an einem Zellenrechner eingeben oder sogar direkt an der Anlage programmieren“, erläutert Stach. „Unser Ziel ist es, diese Informationen leichter zugänglich machen, indem wir die Programmierung auf eine höhere Ebene heben und die Steuerungssoftware einfacher konfigurierbar machen.“ Die virtuelle Inbetriebnahme unter realen Bedingungen soll sicherstellen, dass sich eine Anlage in China wie das Modell verhält, das vielleicht irgendwo in Stuttgart simuliert wurde. Oder fast genauso, wie Launer sagt, und deshalb ist es so wichtig, sie mit Hilfe der Sensorik online zu überwachen. „Wenn die Chinesen zum Beispiel ein Öl mit einer anderen Viskosität verwenden, wird die Anlage in ihrer Gesamtbewegung vielleicht um ein paar Millisekunden langsamer und fängt an, aus dem Takt zu laufen. Durch Online-Monitoring können solche Sachen schneller entdeckt und bei der Planung der nächsten Anlage berücksichtigt werden.“

Qualitätsprüfungen mit dem Sensor

Von der Zusammenarbeit mit Indtact und Ascon verspricht sich SG Engineering neue Ideen für ‚intelligente‘ Anlagen. Warum diese Intelligenz schon bei der Planung berücksichtigt werden muss, zeigt Glanz an einem Beispiel: „Man kann etwa in einer Schweißvorrichtung ein Sensorsystem anbringen, das anhand der Auswertung der akustischen Signale prüft, ob alle Schweißpunkte für die Verbindung von Bodengruppe und Seitenteil korrekt gesetzt sind. Heute werden dafür Fahrzeuge ausgeschleust, um die Schweißpunkte stichprobenartig zu prüfen. Das Ausschleusen und die Vorhalteplätze könnte man sich durch einen Sensor sparen.“ Launer erläutert, wie die Prüfung der Schweißpunkte im Prinzip funktioniert: „Beim Setzen eines Schweißpunktes entsteht ein Körperschall, der eine Mischung aus Eigenschwingung des Materials und Prozessgeräusch ist. Die daraus abgeleiteten Parameter wie Signalform, Pegel und Frequenzanteile sind gewissermaßen ein Fingerabdruck des Prozesses.“ Um die Qualität der Schweißpunkte im laufenden Prozess zu prüfen, werden solche ‚Fingerabdrücke‘ im Digital Twin hinterlegt, so dass jeder Schweißpunkt in Echtzeit auf Abweichungen davon geprüft werden kann. Die Sensorsysteme von Indtact messen Schwingungen und Belastungen in Kombination mit Körperschall – zum Beispiel durch akustische Emissionen – und erfassen damit wichtige Größen, die Rückschlüsse auf den Zustand von Maschinen oder Prozesse ermöglichen. Sie registrieren beispielsweise, wenn Material anfängt zu brechen, sie zeichnen die Bewegung eines Gegenstands auf und die Belastung, der er dabei ausgesetzt war; sie spüren Lecks in Vakuumfolien auf, messen die Verteilung von Kräften und bemerken den Verschleiß eines Kugellagers, bevor es bricht, so dass rechtzeitig ein Ersatzteil angefordert werden kann.

Sensorsignale allein reichen nicht

„Unsere Sensorsysteme sind in der Lage, aus den Signalen gezielt bestimmte Informationen zu ziehen, aber erst die Verbindung mit Lösungen wie der von Ascon Systems ermöglicht ihre effektive Verwertung“, sagt Launer, der kein großer Freund vom Big Data-Begriff ist. Entscheidend sei nicht so sehr die Datenmenge, sondern die Relevanz der Daten. Deshalb braucht man Software, die nichtrelevante Signale herausfiltert. Die Filterung ist unter anderem deshalb wichtig, weil die Datenübertragung auf dem Shopfloor an Grenzen stößt. „Während Rechner bei der Datenverarbeitung inzwischen schneller sind als das menschliche Gehirn, sind wir bei der Übertragung noch nicht soweit“, führt Launer aus. „Deshalb müssen wir uns ständig fragen, wie viele Daten ein System an den nächsten Knoten weitergeben kann. Kritisch ist vor allem der erste Meter von der Sensoreinheit bis zum Gateway und von dort zu den (Cloud-) Servern. Hier fallen in der Regel die größten Datenmengen an.“ Der Hype um Industrie 4.0 hat viele Unternehmen zur Vorstellung verleitet, dass es ausreicht, überall Sensoren einzubauen und aus den Sensordaten dann mit Hilfe Künstlicher Intelligenz und Big Data Analytics etwas Sinnvolles zu machen. Nach der ersten Ernüchterung hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass man Kontext und Fertigungslogik kennen muss, um aus den Daten einen Mehrwert zu ziehen. „Unsere Software bringt diesen Kontext mit der Funktionsweise der Anlagen zusammen. Aber wir brauchen den engen Schulterschluss mit Anlagenplanung und Sensorik, um den Mehrwert für unsere Kunden nutzbar zu machen“, fasst Stach das Ziel der Zusammenarbeit der drei Firmen zusammen.


  • VDMA startet Nachwuchskampagne

    Der VDMA startet die Nachwuchskampagne ‚Talentmaschine‘, die darauf abzielt, junge Menschen für Technologien und technische Berufe zu begeistern. Sie richtet sich vor…


  • NEONEX, Fabasoft Approve & KSB: „Win-win-win-Situation“ durch starke Partnerschaft

    Im Zuge einer Smart-Factory-Potenzialanalyse für ihren Kunden KSB identifizierte die Managementberatung NEONEX Opti mierungschancen bei der Beschaffung der Lieferantendokumentation sowie der Erstellung…